Der renommierte Klimaforscher Prof. Hermann Lotze-Campen betont die enormen Einsparpotenziale, die durch eine umfassende Agrar- und Ernährungstransformation weltweit realisiert werden könnten. In einer kürzlich gehaltenen Lesung an der Humboldt-Universität zu Berlin plädierte Lotze-Campen eindringlich für eine nachhaltige Umgestaltung des Agrar- und Ernährungssektors.
Die Umstellung der Ernährung stellt laut Lotze-Campen den größten Hebel dar. Obwohl dies eine Herausforderung darstelle, könne es dennoch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht äußerst vorteilhaft sein. Durch eine solche Transformation, einschließlich einer Reduzierung der Tierbestände, ließen sich erhebliche Kosten einsparen.
Umfangreiche Modellrechnungen haben ergeben, dass die „versteckten Kosten“ des globalen Agrar- und Ernährungssystems jährlich etwa 9.200 Milliarden Euro betragen. Diese Kosten entstehen durch Umweltbelastungen wie Treibhausgase, Stickstoffüberschüsse und den Verlust an Artenvielfalt. Auch ernährungsbedingte Gesundheitsfolgekosten wie Übergewicht, vorzeitige Todesfälle oder verringerte Arbeitsleistung könnten vermieden werden. Diese Kosten entsprechen etwa 10 % der weltweiten Wirtschaftsleistung.
Laut Lotze-Campen liegt der größte Hebel für die Reduzierung von Treibhausgasen und Gesundheitskosten in einer Ernährungsumstellung hin zu mehr pflanzlichen Lebensmitteln. Eine solche Umstellung bedeute jedoch kein absolutes Fleischverbot. Die EAT-Lancet-Kommission empfiehlt beispielsweise 300 g Fleisch pro Kopf und Woche. Bei einem deutschen Verbrauch von etwa 1 kg Fleisch würde dies einer Reduzierung um 70 % entsprechen. Durch eine pflanzenbetonte Ernährung könnten die Tierbestände verringert werden, wodurch Agrarflächen frei würden, die dann für Aufforstungsmaßnahmen genutzt werden könnten.
Weitere Potenziale zur Bekämpfung der Klimafolgen und zur Einkommensdiversifizierung in der Landwirtschaft sieht Lotze-Campen in Agroforstsystemen und Agri-Photovoltaik. Auch die Wiedervernässung von Mooren spielt eine wichtige Rolle. Der Klimaforscher plädiert daher für eine Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), bei der Beihilfen stärker auf Klima- und Biodiversitätsschutz ausgerichtet werden sollten. Über neue Lenkungsinstrumente wie eine Treibhausgasbepreisung in der Landwirtschaft oder eine Abgabe auf Stickstoffüberschüsse sollte ebenfalls nachgedacht werden.