Seit Jahren fordert die Albert Schweitzer Stiftung den Discounter Lidl auf, der „Europäischen Masthuhninitiative“ beizutreten. Um ihre Forderungen zu untermauern, veröffentlicht die Stiftung regelmäßig Berichte über die Qualität des Hühnerfleisches bei Lidl.
Auch in diesem Jahr hat die Albert Schweitzer Stiftung erneut Analysen von Lidl-Hühnerfleisch durchgeführt, die auf Verunreinigungen mit Keimen hinweisen sollen. Der Discounter steht dabei im Fokus, weil er als einer der wenigen großen Händler noch nicht an der Europäischen Masthuhninitiative teilnimmt, einem Tierwohlprogramm mehrerer Tierschutzorganisationen.
Andere Discounter wie Aldi sind bereits Mitglied dieser Initiative. Aldi hatte sich 2020 dem Druck gebeugt und verkauft seit Juni 2022 bundesweit Fleisch, das den Kriterien entspricht. Bis 2026 sollen alle Aldi-Lieferanten ihre Produktion entsprechend anpassen.
Die neue Kampagne der Albert Schweitzer Stiftung wurde am Montag gestartet und von vielen Medien aufgegriffen. Der Zeitpunkt ist strategisch gewählt, da Lidl als Sponsor der Europameisterschaft im Rampenlicht steht. Laut der Stiftung sei das Hühnerfleisch von Lidl häufig mit antibiotikaresistenten und anderen Krankheitserregern belastet. Auf jeder zweiten Probe seien Bakterien gefunden worden, die gegen eines oder mehrere Antibiotika resistent sind.
Die Stiftung betont weiter, dass auf der Mehrheit der Proben auch Fäkalkeime und Durchfallerreger nachgewiesen wurden. Diese könnten besonders für Kinder, Ältere und Kranke gefährlich werden. Die Ergebnisse seien alarmierend und beschämend für Lidl, den größten Discounter-Konzern Europas, so die Stiftung.
Mahi Klosterhalfen, Präsident der Albert Schweitzer Stiftung, fordert Lidl auf, die Ursachen für die hohe Anzahl antibiotikaresistenter und anderer Krankheitserreger anzugehen und die Haltungsbedingungen bei seinen Lieferanten zu verbessern.
Für die aktuelle Untersuchung wurden 142 Eigenmarkenprodukte aus 22 Lidl-Filialen in Deutschland, Italien, Spanien, Großbritannien und Polen von einem unabhängigen Labor in Deutschland mikrobiologisch geprüft. Die Analysen wurden von mehreren Tierschutzorganisationen in Auftrag gegeben.
Die Ergebnisse der Untersuchungen sind beunruhigend: Ein Drittel der deutschen Proben war mit ESBL-bildenden Erregern belastet, 75 % aller Proben wiesen Fäkalkeime auf, und bei den deutschen Proben betrug der Anteil mit Enterokokken belasteter Proben 67 %. E. coli wurde auf der Hälfte der deutschen Proben nachgewiesen, Listerien auf einem Viertel und Campylobacter auf jeder zweiten Probe.
Die Stiftung führt die Belastung mit Keimen auf die Massentierhaltung zurück. In der Pressemitteilung ist von katastrophalen Bedingungen in den Ställen die Rede. Überzüchtete und kranke Tiere lebten dicht gedrängt in verschmutzten Ställen, was die Ausbreitung von Krankheitserregern begünstige. Bei Erkrankungen würden alle Tiere in einem Stall mit Antibiotika behandelt, was die Entstehung resistenter Bakterien fördere.
Auch Experten wie Dr. Rupert Ebner, ehemaliger Vizepräsident der Bayerischen Landestierärztekammer, und Dr. Imke Lührs, Fachärztin für innere Medizin, äußern Kritik. Sie weisen darauf hin, dass der Missbrauch von Antibiotika in der Tierhaltung weit verbreitet sei und Antibiotikaresistenzen zu den häufigsten Todesursachen weltweit zählen.
Lidl reagierte auf die Vorwürfe und teilte mit, dass keine konkreten Ergebnisse der Stiftung vorlägen. Eigene strenge Kontrollen und Qualitätssicherungsmaßnahmen würden jedoch die Sicherheit der Produkte gewährleisten. Bei üblicher Zubereitung bestehe keine Gesundheitsgefahr für die Verbraucher.
Lidl betont, dass die eigenen Grenzwerte meist strenger seien als die gesetzlichen Vorgaben. Das Unternehmen steht in engem Austausch mit seinen Lieferanten, um die Produktqualität sicherzustellen, und verpflichtet diese zu einem restriktiven Antibiotikaeinsatz nach Rücksprache mit einem Veterinärmediziner. Die Keimbelastung sei nicht zwangsläufig auf die Haltungsform zurückzuführen, da solche Keime in allen Haltungsformen vorkämen.
Der Konzern unterstützt das Ziel der Europäischen Masthuhninitiative grundsätzlich, unterzeichnet die Forderungen aber derzeit nicht. Lidl verweist stattdessen auf einen „Aktionsplan Tiergesundheit“ und plant, den Anteil der Haltungsformstufen 3 und 4 bis 2030 auf 100 % auszubauen, sofern die Warenverfügbarkeit gewährleistet ist.
Die Albert Schweitzer Stiftung betont hingegen, dass der Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung seit Jahren sinkt. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ging dieser 2022 beispielsweise um 12 % zurück.