In Deutschland mehren sich die Anzeichen einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise, die sich durch einen signifikanten Anstieg der Unternehmensinsolvenzen bemerkbar macht. Besonders betroffen sind auch Branchen, die bisher als erfolgreich galten. Die Prognosen für die kommenden Monate sind ebenfalls nicht vielversprechend.
Der DIHK-Mittelstandsexperte Marc Evers hat im Gespräch mit dem Handelsblatt darauf hingewiesen, dass insbesondere die Industrie von einem dramatischen Anstieg der Insolvenzen um über 29 Prozent betroffen ist. Zudem ist ein Rückgang der Industrieproduktion zu verzeichnen, und es zeigen sich immer deutlicher Tendenzen zur Verlagerung der Produktion ins Ausland. Diese Entwicklungen sind besorgniserregend für den Standort Deutschland.
Laut dem weltweit größten Kreditversicherer Allianz Trade wird erwartet, dass die Zahl der Insolvenzen in Deutschland im Jahr 2024 um weitere 21 Prozent auf etwa 21.500 Fälle steigen wird, nachdem sie bereits im Jahr 2023 um 22 Prozent zugenommen hatte. Bis Ende 2024 wird die Zahl der Insolvenzen voraussichtlich 15 Prozent über dem Niveau von 2019, dem Jahr vor der Pandemie, liegen. Eine Abschwächung dieses Trends wird erst für 2025 erwartet.
Besonders besorgniserregend ist der Anstieg bei den Großinsolvenzen, also bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr 2024 wurden bereits 40 solcher Insolvenzen verzeichnet, was nicht nur der höchste Wert seit 2015 ist, sondern auch über ein Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum. Diese Großinsolvenzen haben oft einen Dominoeffekt, der viele Unternehmen in der gesamten Lieferkette mit in den Abwärtssog zieht, wie Milo Bogaerts, CEO von Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz, erklärt.
Der kumulierte Umsatz der Unternehmen, die im ersten Halbjahr 2024 Insolvenz anmelden mussten, belief sich auf 11,6 Milliarden Euro. Das ist bereits mehr als der Gesamtschaden für das gesamte Jahr 2023. Der durchschnittliche Umsatz der betroffenen Großunternehmen lag bei 290 Millionen Euro, was einem Anstieg von 85 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2023 entspricht.
Betroffen sind nicht nur das Baugewerbe und der Einzelhandel, sondern auch der Dienstleistungssektor sowie die Möbel- und Haushaltswarenbranche. Einige Unternehmen hatten Schwierigkeiten, die Rückzahlungen von Corona-Hilfskrediten zu leisten oder neue Kredite zu erhalten, da die Kreditvergabe restriktiver geworden ist und die Finanzierungspartner höhere Anforderungen stellen. Andere waren zu sehr von einem Großkunden abhängig, der ausgefallen ist.
Das Statistische Bundesamt meldete für das erste Halbjahr 2024 insgesamt 10.702 beantragte Unternehmensinsolvenzen, ein Anstieg von 24,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Forderungen der Gläubiger summierten sich auf etwa 32,4 Milliarden Euro.
Marc Evers von der DIHK betont die Dringlichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, um den Standort Deutschland zu stärken und die im internationalen Vergleich hohen Unternehmenssteuern zu senken, um eine weitere Verschlechterung der Situation zu verhindern. Der negative Trend wird sich voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte fortsetzen, und es ist essentiell, strategische Entscheidungen zu treffen, um die volkswirtschaftliche Substanz Deutschlands zu schützen.